Der Weg zum Kunden – lang und steinig? Produkte, die ohne Um- oder Irrwege zur Kundschaft gelangen, dabei moralisch sauber und nachhaltig hergestellt werden, eröffnen Unternehmen Wettbewerbsvorteile. Zudem kommt in knapp zwei Jahren schrittweise das neue Lieferkettengesetz. Höchste Zeit, die Supply Chain zu analysieren und sie perfekt aufzustellen.
Während des ersten Lockdowns der Coronapandemie tauchte der Begriff verstärkt auf: Lieferkette. Diese Versorgungsketten waren durch Grenzschließungen, Reiseeinschränkungen und sonstige Restriktionen teilweise unterbrochen oder gerieten in Gefahr, störanfälliger zu werden. Die Kunden reagierten entsprechend: Hysterische Hamsterkäufe von Toilettenpapier, Nudeln, Desinfektionsmitteln und Fertigkonserven waren die Folge.
Doch was ist die Lieferkette genau? Die Lieferkette ist quasi das gesamte Versorgungsnetzwerk gegenüber einem Kunden, beispielsweise dem Endverbraucher, der WC-Papier kaufen möchte, aber vor leeren Regalen steht. Beim Supply Chain Management (SCM) stehen Produkte und Waren, Dienstleistungen, Informationen oder Finanzen im Fokus. Dass diese Bereiche – auch in herausfordernden Zeiten – optimal aufgestellt sind und quasi alles im Fluss ist, haben sich SCM-Manager als oberstes Ziel gesetzt.
Im Betrieb sind vier Bereiche vom Supply Chain Management betroffen:
- Beschaffung der Rohstoffe und Waren
- Produktion
- Vertrieb und Absatzplanung
- Distribution, Versand und Logistik
Das aktuelle Lieferkettenproblem in Zahlen
- Die Materialknappheit auf deutschen Baustellen hat ihren Höchststand seit 1991 erreicht. Es fehlt vor allem Baustahl aus Russland und der Ukraine. Zusammen mit dem Preisauftrieb bei Zinsen macht dies vermehrt Projekte unrentabel. Im März berichteten 4,6 Prozent der Hochbauer von Stornos – im Mai schon 13,4 Prozent.
- 46 Prozent der Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes in Deutschland sind auf Vorleistungen aus China angewiesen, in der Automobilindustrie sogar fast 76 Prozent. Besonders Großunternehmen (54 Prozent) sind betroffen, aber auch in Kleinunternehmen ist der Anteil beträchtlich (28 Prozent).
- 45 Prozent der verarbeitenden Unternehmen, 44 Prozent des Großhandels und sogar 55 Prozent des Einzelhandels wollen diese Abhängigkeit reduzieren. Die wichtigsten Gründe sind die Vermeidung von (politischen) Abhängigkeiten, gestiegene Frachtkosten und störungsanfällige Transportwege. Am stärksten ist der Wunsch nach mehr Unabhängigkeit in der chemischen Industrie (64 Prozent) und bei Gummi- und Kunststoffwaren (54 Prozent).
Besonders besorgniserregend ist die Rohstoffabhängigkeit – von China einerseits und von Russland andererseits:
- Mehr als die Hälfte des 2021 in Deutschland verbrauchten Erdgases kam aus Russland (DE: 54 Prozent, EU: 35 Prozent). Selbst wenn alle Ersatzmöglichkeiten genutzt würden, bliebe bei einem Lieferstopp im Winter 2022 eine Bezugslücke von rund zwölf Prozent. Sie kann kurzfristig nur durch ein Absenken der Produktion oder andere Energiequellen gefüllt werden. Das trifft vor allem die Grundstoffchemie, die Ernährungsindustrie, das Papiergewerbe und die Metallerzeugung.
- Die Energiewende kann die Energieknappheit reduzieren. Doch auch hierbei ist Deutschland wesentlich von China abhängig: 65 Prozent der Rohstoffe für Elektromotoren, 54 Prozent für Windturbinen und 53 Prozent für Fotovoltaik-Technologie kommen von dort. Und Russland war bis zu den Sanktionen ein entscheidender Lieferant für Nickel (40 Prozent der deutschen Einfuhr), Palladium (über 25 Prozent) und Chrom (über 22 Prozent). Nickel ist wichtig für Batterien in der Elektromobilität, Palladium für Autokatalysatoren und in der Elektrotechnik und Chrom für die Produktion von Edelstahl.
Diese Zahlen zeigen, wie groß die Aufgabe für die deutsche Volkswirtschaft insgesamt ist: Es fehlen schwer ersetzbare Basics. Neue Lieferbeziehungen werden gesucht, neue globale Allianzen geschmiedet und Energie und Rohstoffe zu erheblichen Anteilen ersetzt oder durch Wertstofftrennung wiederverwendet. Das gilt im Kleinen auch für einzelne Unternehmen.
Lieferketten müssen widerstandsfähiger werden
Die Pandemie führt uns immer wieder vor Augen: Lieferketten, vor allem wenn sie global vernetzt sind, sind verletzlich. Nach einer aktuellen Capgemini-Studie ist die Verbesserung der Widerstandskraft der Lieferkette für 62 Prozent der Befragten zur Priorität geworden. Fast 70 Prozent gaben an, ihre Geschäftsmodelle während der Krise angepasst zu haben.
Eine starke Versorgungskette ist jedoch nur ein Aspekt, mit dem Sie Ihre Kunden glücklich machen können – und eigentlich nur das Fundament für weitere Verbesserungen. In den letzten Jahren fordern Kunden moralisch einwandfreie und nachhaltige Lieferketten ein – Unternehmen tun also gut daran, sich diese Faktoren näher anzusehen, denn sie können sich zum großen Wettbewerbsvorsprung entwickeln.
Mögliche Ansatzpunkte zur Optimierung
Wo kann man bei der Optimierung der Supply Chain ansetzen? Was man nicht kennt, kann man nicht verbessern. Deshalb ist die ganzheitliche Transparenz der Lieferkette das A und O. Bewerten Sie dabei das Risiko: Welche Zulieferer geraten in Gefahr, Ausfälle zu generieren oder nicht zuverlässig liefern zu können? Schätzen Sie das Risiko in regelmäßigen Abständen neu ein.
Investieren Sie deshalb in eine gute SCM-Software, sofern Sie nicht schon eine haben. Daten müssen für alle transparent und jederzeit einsehbar sein, sonst sind sie wenig wert. Sie sehen so ganz genau, welche Bereiche effizient arbeiten und wo es Verbesserungsbedarf gibt.
Legen Sie nicht alle Eier in einen Korb: Was bei der Geldanlage gilt, stimmt genauso für die Lieferkette. Der sogenannte Multi-Sourcing-Ansatz verhindert, dass Sie gegenüber einem Zulieferer in Abhängigkeit geraten. Prüfen Sie zum Beispiel, ob Sie bestimmte Teile oder Erzeugnisse von lokalen oder regionalen Zulieferern erhalten können.
Verbesserungen lassen sich auch mit smarten Technologien schaffen. Cloud Computing, Big Data Analytics, Roboter und Automatisierung, Internet der Dinge, Künstliche Intelligenz und 3D-Druck lauten hier einige Begriffe, an denen kein Unternehmen vorbei kommt, wenn es seine Lieferketten digitalisieren möchte.
Neues Lieferkettengesetz in Planung
Unternehmen sind bei der Auswahl ihrer Zulieferer und Rohstoffe nicht völlig frei. Ein neues Lieferkettengesetz mit dem Namen „Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten“ verleiht dem noch einmal Nachdruck. Es sieht vor, dass man die von den Unternehmen vor allem im Ausland beschafften Vorleistungsgüter oder Fertigerzeugnisse in allen Phasen der Lieferkette auf mögliche umweltschädigende oder gegen die Arbeitsbedingungen verstoßende Produktionsverfahren zurückverfolgen kann.
Unternehmen sollen verpflichtet werden, negative Effekte auf die Menschenrechte, die Umwelt und die Unternehmensführung bei der Erzeugung ihrer Güter und in ihren Geschäftsbeziehungen zu unterlassen. Das neue Gesetz soll noch vor der Bundestagswahl im September 2021 verabschiedet werden. Es soll ab dem Jahr 2023 für Firmen mit über 3000 Mitarbeitern in Deutschland angewendet werden – und betrifft damit etwa 600 Konzerne. Ein Jahr später sollen auch Unternehmen mit über 1000 Beschäftigten unter das Gesetz fallen – weitere rund 2900 Firmen. Und diese Firmen werden wiederum ihre Lieferanten auf das Gesetz einschwören. Umso besser, wenn Unternehmen nun ihre Lieferketten genau unter die Lupe nehmen.
Checkliste: Für wen funktioniert „Reshoring“?
Für manche Unternehmen kann es auch eine Lösung sein, erfolgskritische Teile ihrer Lieferketten oder ganze Produktionsketten zu „reshoren“, also zurück nach Europa zu holen. Ein Selbstläufer ist das allerdings nicht:
- Eine Neuorganisation der Lieferkette gelingt leichter, wenn Unternehmen möglichst den kompletten Produktionsprozess vom Vor- bis zum Endprodukt analysieren. Einzelne Güter zurückzuholen, während der Rest der Produktionsstrecke weiter in Asien steht, bedeutet weiter lange und risikoanfällige Transportwege.
- Durch Digitalisierung und Automatisierung ist es den Unternehmen oft möglich, den Anteil der Lohnkosten bei der Produktion zu senken, sodass sich dann auch wieder eine Produktion in Europa rechnet.
- Wer im Ausland produziert, um den dortigen Markt direkt zu bedienen, erhält diese internationalen Standorte voraussichtlich und richtet seine Lieferketten entsprechend darauf aus. Diese „Lokal für Lokal“-Produktion ergänzt und sichert damit auch den Standort Europa.
Übrigens: Die Rückkehr bzw. die teilweise Rückverlagerung nach Europa führt nicht unbedingt nach Deutschland. Als „Best 5 Countries“ für europäische (Neu-)Ansiedlungen werden oft Polen, die Slowakei, Griechenland, Ungarn und die Tschechische Republik genannt.
Erste Anlaufstelle beim Weg in neue Märkte ist oft das Netzwerk der Außenhandelskammern. Geschäftliche Rahmenbedingungen zu 41 Ländern sind in den Länderinfos des EuropaServices beschrieben. Über das internationale Netzwerk der Sparkassen-Finanzgruppe S-Countrydesk können Sparkassen eine umfangreiche Begleitung durch örtliche Partner(banken) organisieren.