Nachhaltige Geldanlage: Heißt es jetzt Atomkraft ja bitte?

0
Atomkraftwerk am Fluss

Wann steht ein Unternehmen oder auch eine ganze Branche für ein umweltbewusstes und nachhaltiges Wirtschaften? Dazu hat der europäische Gesetzgeber ein Klassifizierungssystem, eine sogenannte Taxonomie, entwickelt, um dem Markt und damit auch Anleger:innen mehr Klarheit darüber zu verschaffen, was nachhaltig ist und was nicht. Nun hat das EU-Parlament entschieden, sowohl Atomenergie als auch Erdgas als nachhaltig einzustufen. Diese Entscheidung ist sehr umstritten. Wir sprechen dazu mit Ingo Speich, Leiter Nachhaltigkeit und Corporate Governance bei Deka Investment und mit Kevin Bröde, dem Nachhaltigkeitsmanager der Förde Sparkasse.

Herr Speich, das EU-Parlament hat entschieden: Sowohl Atomenergie als auch Gas sind unter bestimmten Voraussetzungen nachhaltig. Wie beurteilen Sie das?

Wir halten diese Entscheidung für falsch. Für unsere Anleger:innen ändert sich nichts, denn wir halten bei unseren Nachhaltigkeitsfonds weiterhin an unserer Anlagestrategie fest. Wir sehen Atomkraft nach wie vor als nicht nachhaltig an und halten an unserer Position unabhängig von der Entscheidung des EU-Parlaments fest.

Welche Gründe sprechen aus Ihrer Sicht dafür, Unternehmen aus der Atomenergie als nicht nachhaltige Anlage zu klassifizieren?

Eines der Grundprinzipien der Nachhaltigkeit ist die intergenerationale Verpflichtung. Sie besagt, dass künftige Generationen durch unser heutiges Handeln nicht über Gebühr belastet werden dürfen. Allein die ungelöste Endlagerfrage bricht aber mit diesem Grundsatz. Aber auch die Beschaffung des Brennstoffs bleibt kritisch zu betrachten. Darüber hinaus ist die Atomenergiegewinnung mit Ereignisrisiken verbunden, die zwar eine geringe Eintrittswahrscheinlichkeit haben. Kommt es jedoch zum Schadenfall ist dieser enorm und mit sehr hohen Kosten, nicht nur monetärer Art, verbunden. Trotz der Entscheidung des EU-Parlaments, Atomenergie als nachhaltig zu klassifizieren, bleibt das Regulierungsrisiko weiterhin vorhanden. Ein sich ändernder Zeitgeist, wie er beispielsweise im Jahr 2011 vorherrschte, als die Nuklearkatastrophe in Fukushima geschah, würde eine erneute Gesetzesänderung sehr schnell in Erwägung ziehen. Weiteres Manko: Wegen der hohen Investitionssummen können diese Anlagen sich schnell in ein „Stranded-Asset“ verwandeln. Also um Anlagen, die entweder durch einen Schadenfall oder durch Gesetzesänderungen geschmälert oder gar vernichtet werden können.

Ingo Speich, Leiter Nachhaltigkeit und Corporate Governance bei Deka Investment.

Wir sehen Atomkraft nach wie vor als nicht nachhaltig an und halten an unserer Position unabhängig von der Entscheidung des EU-Parlaments fest!

Schauen wir auf das Thema Gas. Wie bewerten Sie dessen Nutzung unter Nachhaltigkeitsaspekten?

Gas ist für uns eine Energieform, die es auch gilt sukzessive zu reduzieren. Vor diesem Hintergrund können zwar unsere Nachhaltigkeitsfonds in Unternehmen dieser Branche investieren, allerdings unter engen Vorgaben. Für alle unsere Nachhaltigkeitsfonds gelten auch absolute Kohlendioxidwerte, die dazu führen, dass Unternehmen mit hohen Emissionen nicht investierbar sind.  

Ab dem 02. August 2022 gelten neue Spielregeln bei der Anlageberatung. Nachhaltigkeitsaspekte müssen ab dann berücksichtigt werden. Wie sehen Sie das?

Häuser wie die Förde Sparkasse haben die Nachhaltigkeitsaspekte ja bereits seit dem 26. Juni in ihre Anlageberatung integriert. Für eine verantwortungsvolle Geldanlage halte ich dies für den richtigen Schritt. Insofern ist die Anlageberatung facettenreicher geworden.

Was wird die Taxonomie für langfristige Folgen für die Wirtschaft in Europa haben?

Die Transformation hin zu einer CO2-armen Gesellschaft wird vorangetrieben durch weitere inhaltliche Ergänzungen der Taxonomie. Ein Beispiel ist die Kreislaufwirtschaft. Hier werden wir ein breiteres Taxonomie-Verständnis erlangen, dadurch werden zunehmend Investitionen in diese Bereiche reinfließen und sich neue strukturell langfristige Bewertungen am Kapitalmarkt herausbilden. Die Geschwindigkeit der Transformation der Realwirtschaft wird letztlich so erhöht werden.

Herr Bröde, welche Bedeutung hat die Taxonomie ganz generell für die Anleger:innen und glauben Sie, dass nun auch im großen Stil in Atomkraft und Erdgas investiert wird?

Unabhängig von der berechtigten Kritik an einzelnen Aspekten begrüße ich die Taxonomie. Sie bietet die erforderliche Orientierung und wird so zu einer Lenkung der Kapitalflüsse in nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten führen. Die Aufnahme von Gas und Atomkraft ist aus wissenschaftlicher Sicht natürlich nicht zu begrüßen, sondern dürfte rein politisch motiviert sein. Aber aus mehreren Gründen ist es besser, eine Taxonomie mit Mängeln zu haben als gar kein Regelwerk. Zunächst einmal sind diese beiden Energieträger nur unter bestimmten (zukunftsfähigen) Voraussetzungen als nachhaltig eingestuft. Des Weiteren ist der Großteil der dort klassifizierten Wirtschaftsaktivitäten unstrittig als ökologisch nachhaltig klassifiziert. Letztlich verpflichtet die Taxonomie ja keinen Investor, in Atomkraft oder Gas zu investieren. Jede(r) Klein- und Großanleger:in hat heute die Möglichkeit, diese Energieträger bei seinem Investment zu meiden. Ich gehe davon aus, dass dies auch viele Investor:innen tun werden.

Die Taxonomie verpflichtet keine Investorin oder Investor, in Atomkraft oder Gas zu investieren

Kevin Bröde
Kevin Bröde, Nachhaltigkeitsmanager der Förde Sparkasse.

KOMMENTAR SCHREIBEN (Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.)

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein