Jedes Jahr sind die Kieler Wirtschaftsjunior:innen bei uns in der Förde Sparkasse zu Gast. Das Netzwerk setzt sich zusammen aus über 60 jungen Unternehmer:innen und Führungskräften aus verschiedensten Wirtschaftsbereichen und -branchen in der Landeshauptstadt. Bei ihren Veranstaltungen werden aktuelle wirtschaftliche Themen aufgegriffen und diskutiert. Dieses Mal Stand das Thema „ChatGPT – vom Schreib- zum Businesspartner“ im Fokus. Dazu hielt Frau Prof. Dr. Doris Weßels, Professorin für Wirtschaftsinformatik von der Fachhochschule Kiel, einen Vortrag. Wir haben die landesweit sehr gefragte Expertin rund um das große Gebiet künstliche Intelligenz interviewt.
Ab wann redet man eigentlich von einer KI?
Der Begriff der KI, der künstlichen Intelligenz, wurde leider nicht präzise definiert und jeder versteht darunter etwas anderes. Das ist ein weltweites Problem. Was wir aber im Moment unter künstlicher Intelligenz eigentlich verstehen, ist Machine Learning, d.h. Software, die selber lernt. Generative KI ist aktuell der Oberbegriff für ChatGPT und Co., wo eben etwas generiert wird. Das können Texte sein, Bilder, Videos, Musik. Bild und Text sind derzeit die Content Formen, die am stärksten entwickelt sind. Bewegtbild wird täglich mehr. Ich denke, wir sind in Kürze dabei, dass wir uns mit KI einen Film kreieren können.
In den ganzen Bereichen, die Sie gerade geschildert haben, fühlen sich natürlich viele Menschen jetzt erst mal bedroht und unsicher, auch gerade was ihren eigenen Arbeitsplatz betrifft. Zu Recht?
Ja. Kreative Berufe sind sehr stark betroffen, was die Sicherheit und zukünftige Ausgestaltung des Arbeitsplatzes angeht. Wir haben inzwischen ganz viele Bücher, von denen wir nicht so recht wissen, wer die wirklich geschrieben hat oder wie hoch der Anteil des Menschen daran war. Und das führt sehr schnell zu der Frage: Muss man das nicht kennzeichnen? Ist es rechtlich okay? Ist das Urheberrecht heutzutage überhaupt noch sinnvoll oder muss man das einfach streichen oder durch etwas Neues ersetzen? Dann brauchen wir eine weltweite Regelung, wir haben aber ein nationales Urheberrecht. Also egal, wohin man schaut und mit wem man diskutiert, man hat eigentlich immer nur Fragen, Fragen, Fragen und ungelöste Probleme.
Was würden Sie denn als Expertin empfehlen? Also erst die Weiterentwicklung von KI vorantreiben oder erst einmal Regelungen finden, die möglichst allgemeingültig sind?
Mal angenommen, ich würde jetzt im Wettbewerb stehen bei dieser Technologie und bei der Entwicklung hinterherhinken, dann würde ich natürlich so wie Elon Musk und Co. dafür plädieren, dass wir uns erst einmal eine Auszeit gönnen, damit ich die Aufholjagd starten kann. Tragischerweise haben wir hier in Deutschland sehr wenig mitzugestalten. Wir haben einen einzigen Anbieter, der wirklich schon auf der Bühne steht. Das ist ALEPH ALPHA, gegründet von Jonas Andrulis aus Heidelberg. Und auf der anderen Seite, in den USA, hat man so potente Player wie Microsoft, Google und Co., von China ganz zu schweigen, die geben das Tempo vor. Die fragen vorher nicht, ob sie nicht noch ein bisschen warten sollen. Wir sind Getriebene in diesem Prozess und wir wissen nicht, was morgen und übermorgen passiert.
Das heißt, die Entwicklung wird so oder so voranschreiten. Fürchten Sie irgendwann vielleicht doch einen Kontrollverlust?
Wir wissen, es geht um einen Multimilliardenmarkt, es geht um eine Zukunftstechnologie. Das merken wir natürlich auch als Kunden, weil das Tempo, das wir live jeden Tag erleben, ist atemberaubend. Ständig gibt es irgendwelche Ankündigungen und Diskussionen um die arbeitsmarktpolitischen und regulatorischen Auswirkungen. Das Thema wird auf vielen Ebenen im Moment intensiv diskutiert. Ich wage da kaum eine Prognose, wohin die Reise geht. Nur, dass es sehr, sehr schnell weitergehen wird, da bin ich mir ganz sicher.
Sie hatten gerade schon das Thema Arbeitsmarkt angesprochen: KI als mögliche Antwort auf den Fachkräftemangel in Deutschland?
Das ist natürlich hochpolitisch. Also gerade, wenn man das mit Gewerkschaftsvertretern diskutiert, weil KI dort Arbeitsplätze bedroht. Die Kräfte- oder Fachkräfteproblematik wird jeden Tag akuter und natürlich brauchen wir dafür eine gute Lösung, wie wir damit umgehen. Automatisierung und Digitalisierung können dabei helfen. Aber die Frage ist: Wie weit treiben wir das? Inwieweit wagen wir uns an irgendwelche Bots heran, die dann auch Aufgaben übernehmen?
Gucken wir doch mal in unsere Region: Ich bin ein kleines oder mittelständisches Unternehmen und ich sehe diese Entwicklung. Was würden Sie mir denn empfehlen?
Man muss anfangen, denn je später man einsteigt in das Thema, desto schwieriger wird es. Das ist für uns bereits durch diese täglichen Ankündigungen sehr anstrengend. Selbst in meinem Netzwerk sagen viele: Ich sehe den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr. Mir geht es genauso; man kommt kaum noch mit. Das heißt für diejenigen, die im Moment noch gar nicht eingestiegen sind, wird die Hürde täglich höher, um sich zurechtzufinden. Ein Tipp: Gönnt euch einen Monat eine Plus-Variante. Versucht mal, die Aufgaben, die ihr heute macht, damit irgendwie abzubilden. Was geht, was geht nicht? Das kostet zwar etwas Geld, aber ihr bekommt schnell ein Gefühl dafür. Man entdeckt, man wird neugierig, man spielt herum, man denkt darüber nach.
Also ist Ihre konkrete Empfehlung: Mit ChatGPT starten und dann gegebenenfalls auf weitere Anwendungen und Lösungen erweitern?
Genau. Und wenn es heute nicht klappt, klappt es vielleicht morgen. Auch diese Äußerung gibt es immer wieder, dass man sagt: Ja, ich habe es einmal ausprobiert und es hat nicht geklappt. Das Ergebnis war nicht zufriedenstellend. Wir haben es hier mit probabilistischen Algorithmen zu tun. Wir haben bislang nie Software erlebt, die so merkwürdig, quasi zufallsgesteuert, operiert. Das ist für uns erst einmal befremdlich. Und das muss man sich bewusst machen, dass der Zufall hier mitregiert.
Noch einmal mit Blick auf die kleinen und mittelständischen Unternehmen: Was sind die zwei, drei größten Chancen beim Einsatz von KI Ihrer Meinung nach?
Das Bostoner MIT hat typische Schreibaufgaben, also Aufgaben, die mit Schreiben verbunden waren, untersucht. Das Ergebnis: Man gewinnt 40 Prozent der Zeit, d.h. man braucht für Schreibtätigkeiten nur noch 60 Prozent der Zeit. Die Qualität der Ergebnisse steigt zudem um 18 Prozent. Das sind schon zweistellige signifikante Effizienz- und Effektivitätssteigerungen. An der Harvard Business School in den USA fand eine Untersuchung zum gleichen Szenario mit Beratern von Boston Consulting statt. Die leisten 12 Prozent mehr, sind 25 Prozent schneller und sogar 40 Prozent besser. Es häufen sich allerdings auch Fehler. Das muss man dazu sagen. Aber auch hier alles im zweistelligen Bereich. Wenn man mit ChatGPT arbeitet, merkt man es auch sofort, z.B. wenn ich für Vorträge einen Titel generieren soll. Man kann es fast in allen Aufgabenbereichen einsetzen. Das ist auch etwas anstrengend, weil man jetzt quasi einen virtuellen Kameraden hat, der mal Blödsinn produziert und mal richtig gute Sachen. Insgesamt ist man aber schneller!
Ich habe ChatGPT Folgendes gefragt: Wenn ich eine Expertin für Künstliche Intelligenz bei mir zu Gast habe, welche ungewöhnliche Frage sollte ich stellen? Das war das Ergebnis: Können KI-Systeme selbst kreativ sein oder nur kreatives Denken simulieren? Ihre Antwort?
Vor anderthalb Jahren hätte ich noch behauptet: Die sind nicht wirklich kreativ, die simulieren Kreativität. Ich bin mittlerweile von dieser Meinung abgerückt. Auch dazu gibt es wissenschaftliche Studien: In Tests hat sich gezeigt, dass die Kreativität von ChatGPT bei der Top 1% der kreativsten Menschen anzusiedeln ist. Man kann also ChatGPT nicht unterstellen, dass es nur eine Art dummer Papagei ist. Das merkt man auch, wenn man damit arbeitet. Deshalb muss ich heute auch meine frühere Meinung revidieren. Es hängt natürlich immer von der Definition ab: Wie definieren wir Kreativität? Aber wenn man es nur vom Ergebnis her betrachtet, verfügt ChatGPT nach meiner Bewertung über eine sehr, sehr hoch entwickelte Kreativität.
Dann ist der Schritt zum eigenen Denken doch aber nicht mehr so weit, oder?
Auch das ist in diesem Jahr sehr intensiv diskutiert worden. Wenn wir die letzten Jahre Revue passieren lassen, dann haben wir Leistungssteigerungen erlebt, die wir nicht vermutet haben. Ich bin der Meinung, das ist und bleibt eine Software, die nicht wirklich versteht, was sie tut. Zumindest nicht so, wie wir Menschen das verstehen. Aber sie ist großartig in dem, was sie macht und wie sie uns imitiert. Und da geht sicherlich noch mehr. Ich persönlich glaube nicht, dass die KI ein Bewusstsein bekommen wird so wie ich Bewusstsein verstehe. Aber es gibt ernstzunehmende Menschen, die ich auch sehr schätze, die genau das durchaus in die Diskussion bringen.