Der American Football in Kiel hat einen Namen: Kiel Baltic Hurricanes. Henner Clodius, ein Mitarbeiter der Förde Sparkasse, vereint das Büroleben mit dem Spitzensport. Im folgenden Artikel erzählt er Details zu diesem ursprünglich nicht deutschen Sport und berichtet, wie bei ihm alles angefangen hat.
In der Schule vom American Football inspiriert
Mit 14 Jahren erwachte bei mir das Interesse an American Football. Die damaligen Profispieler aus den USA haben unseren Unterricht besucht – damals war ich in der 6. Klasse. Unsere Aufgabe sollte es eigentlich ausschließlich sein, eine Unterhaltung auf Englisch zu führen. Schnell stellte sich heraus, dass die Jungs aber eher ein anderes Englisch sprachen, als wir es gewohnt waren. Ich besuchte nach diesem beeindruckenden Treffen einige Spiele im Holstein-Stadion und begann anschließend mit 15 Jahren das Jugendtraining. Da der Zulauf an Jugendlichen 2006 noch sehr gering war, gab es nur eine Jugendmannschaft – die U19. Der Anfang war nicht immer ganz leicht. Schließlich bestanden die Gegner (meist Teams aus Hamburg) hauptsächlich aus Spielern im Alter von 18 bis 19 Jahren. Mit 17 entwickelte ich mich nach und nach körperlich sowie qualitativ zu einem zuverlässigen Jugendspieler. Daraufhin nahm ich an Jugendauswahlmannschaften in Schleswig-Holstein und Hamburg teil und qualifizierte mich für die Jugendnationalmannschaft.
Tryout zur Jugendnationalmannschaft
An einem Sonntagmorgen nahm ich den ersten ICE nach Frankfurt zum Tryout. Das Tryout war den gesamten Tag angesetzt. Dort angekommen wurden Körpergröße und Gewicht der 150 Jugendlichen vermessen und die erste Disziplin war der Sprint. Ich zog meine Schuhe an, und lief auf Zeit den „40 Yard Dash“. Dies ist eine einheitliche Strecke (36 Meter), bei der die Zeit nach 20 Yards und 40 Yards gemessen wird.
Die Enttäuschung hielt nicht lange an
Nachdem ich in Frankfurt aussortiert wurde, ist der damalige Head Coach der 1. Herrenmannschaft (Patrick Esume) auf mich aufmerksam geworden. Coach Esume ist einer der wenigen Deutschen, der unter anderem als Trainer in der NFL (US Amerikanische Profiliga) seine Erfahrungen gesammelt hat. Mittlerweile kennen manche ihn eventuell aus dem Fernsehen – er moderiert gemeinsam mit Frank Buschmann die NFL Spiele auf Prosieben Maxx. Coach Esume sprach mich Ende 2010 an und wollte, dass ich ab April 2011 in der 1. Herrenmannschaft spiele – selbstverständlich lehnte ich nicht ab. Daraufhin musste ich zeitnah an einem Combinetesting teilnehmen. Dabei werden die Spieler in unterschiedlichen Disziplinen getestet – Kraft, Geschwindigkeit, Koordination und Technik. Daraufhin bekam ich einen auf meine Position ausgearbeiteten Trainingsplan, der mich in diesen Bereichen verbessern sollte. Ich war gerade 19 und begann von nun an fünf Tage die Woche zu trainieren. Die Combinetestings fanden alle acht Wochen statt und waren eine Pflichtveranstaltung. Coach Esume hat sehr genau geguckt, ob sich die Ergebnisse bessern und wir unseren Trainingsplan ernst nehmen.
Erst einmal die Bank wärmen
Im April 2011 ging es dann los. Zwei Mal die Woche Teamtraining, einmal die Woche Videoanalyse, zwei weitere Male Kraft und Konditionstraining. Die Amtssprache war plötzlich Englisch, bzw. ein Englisch, mit dem ich damals immer noch keine Berührungspunkte hatte. Es war halt das amerikanische Englisch, mit besonderem Slang, schnell und besonders laut gesprochen. Zeit zum nachdenken, was der Coach gerade sagte, gab es nicht. Entweder ich verstand es, oder der nächste war am Zug. Ich dachte damals, es sei hart, als ich mit 15 Jahren gegen 19-Jährige spielte. Nun war ich 19 Jahre und spielte gegen Amerikaner, die seit der Highschool mit Football groß geworden sind und nach der Zeit als Sportstudent (Footballspieler) den Sprung in die US Amerikanische Profiliga (NFL) nicht geschafft hatten. Ich gab mir besonders viel Mühe, ja nicht negativ aufzufallen. Leichter gesagt als getan. Ich bekam plötzlich ein Playbook, unser Spielsystem mit ca. 70 Seiten. Dies von Anfang an zu beherrschen, ist nahezu unmöglich. Dafür ist das System zu komplex.
Der Durchbruch
Nachdem wir 2011 und 2012 den German Bowl, das Finale um die Deutsche Meisterschaft, vor ca. 15.000 Zuschauern verloren, hingen viele erfahrene Spieler ihre Schuhe an den Nagel. Besonders die Niederlage 2012 schmerzt noch heute. Aufgrund einer Verletzung eines älteren und weitaus erfahreneren Spielers wurde ich plötzlich 2012 zum Finale aufgestellt. Meine Taufe fand ausgerechnet im Finale vor 15.000 Zuschauern im Berliner Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark statt. Wir verloren trotz langer Führung 53:56. 2013 bekam ich nun die Chance, mich als nächste Generation unter Beweis zu stellen. Seitdem zähle ich mich zu einer festen Größe in der Kieler Mannschaft.
Ziele sind gesteckt
Nachdem ich so knapp an der Meisterschaft vorbeigeschrammt bin, brenne ich darauf, mich früher oder später Deutscher Meister zu nennen. 2014 und 2015 haben wir parallel neben der „GFL“ (German Football League) an der „EFL“ (European Football League) teilgenommen – einer Auswahl an europäischen Traditionsvereinen. Wir gewannen in beiden Jahren den Europapokal. Darüber hinaus gibt es noch die „Big6“. Die Auswahl der sechs besten Teams in Europa, vergleichbar mit der Championsleague im Fußball. Eine Teilnahme ist unter anderem mit hohem finanziellem Aufwand verbunden, weshalb unser Verein bisher davon absah. Ich wünsche mir sehr, dass wir in den nächsten Jahren an diesem Wettbewerb teilnehmen – schließlich sind wir auf Platz vier der erfolgreichsten Teams in Europa gelistet und ich hätte dann in den drei höchsten Spielklassen in Europa teilgenommen.
Die Liga und unser Team
Seit 2007 spielen die Kiel Baltic Hurricanes in der GFL (1. Bundesliga). Unsere 2. Herrenmannschaft spielt in der Verbandsliga Nord. Wie im Fußball gibt es noch die GFL 2, Regionalliga, Oberliga und etliche Verbands – bzw. Landesligen. Die Spiele finden im Zeitraum von Mai bis Oktober statt. Die Winterzeit wird als Vorbereitung genutzt. Das Ligasystem ist sehr simpel. Die GFL ist in zwei Gruppen eingeteilt. Nordgruppe und Südgruppe. In den jeweiligen Gruppen spielt man gegen jedes Team ein Hin- und Rückspiel. Am Ende der Saison treten die vier stärksten Teams aus Nord im K.O. System gegen die vier stärksten aus dem Süden an. Das hat dann auch mal zur Folge, dass wir ein Spiel in München oder im Allgäu haben. Daraus resultierend entsteht der German Bowl, das Finale um die Deutsche Meisterschaft. Unser Team besteht in der Regel aus 45 Spielern. Davon sind 80 % Amateursportler wie ich. Die restlichen 20 % sind Amerikaner als Vertragssportler und ein paar wenige europäische Talente, die über den Zeitraum der Saison in Kiel leben. Andere Teams in Deutschland arbeiten mittlerweile mit bis zu 50 % Vertragssportlern.
Geleitet werden wir von einer neunköpfigen Trainercrew, wovon zwei Amerikaner hauptberufliche Coaches sind. Außerdem begleiten uns permanent ein Physioteam und zwei Sportärzte, die uns im Winter unter anderem auf die Saison vorbereiten und uns während der Saison gesund wieder nach Hause bringen.