Die Vor- und Nachteile einer verkürzten Arbeitswoche
Die langen Corona-Arbeitstage schlauchen uns – egal ob im Homeoffice, an der Supermarktkasse oder im Logistikzentrum. Höchste Zeit, der langen Arbeitswoche endlich den Hahn abzudrehen. Oder? Wohl eher nicht. Denn fast 40 Prozent der Befragten sprechen sich laut einer aktuellen Umfrage gegen eine Verkürzung der Arbeitswoche aus. Dabei zeigen Pilotprojekte in verschiedenen Ländern: Der Umstieg von fünf auf vier Tage ist ein Riesenerfolg.
Im Vergleich arbeiten die Menschen in Deutschland ohnehin schon wenig – oder etwa nicht?
Der Umstieg auf eine 4-Tage-Woche liegt international im Trend. Auch in Deutschland wird darüber diskutiert. Doch ist eine Verkürzung der Arbeitswoche überhaupt notwendig? Schließlich liegt die Wochenarbeitszeit in Deutschland mit 34,8 Stunden unter dem EU-Durchschnitt (37 Stunden). Doch diese Zahl ist mit Vorsicht zu genießen. Denn sie schließt Teilzeitkräfte mit ein. Und je höher der Anteil an Teilzeitkräften, desto geringer die durchschnittliche Wochenarbeitszeit.
Diese wird in Deutschland maßgeblich von Frauen beeinflusst. Denn zwar sind hierzulande etwa die Hälfte aller Frauen erwerbstätig. Allerdings arbeiten 47 Prozent von Ihnen in Teilzeit. Sind minderjährige Kinder im Haus, steigt dieser Anteil sogar auf über 62 Prozent (bei den Männern sind es nur 6,4 Prozent).
Nur auf die Vollzeitbeschäftigten bezogen arbeiten die Menschen hierzulande deutlich länger: Sie kommen auf durchschnittlich 41 Stunden in der Woche.
Island zieht die Reißleine
Ein Land, das das deutsche Arbeitspensum in den Schatten stellte, war Island. In den letzten Jahren arbeiteten Vollzeitkräfte dort zwischen 44 und 45 Stunden in der Woche. Die Konsequenz: Stress und Burnout plagten weite Teile der arbeitenden Bevölkerung. Dann zog die isländische Regierung die Reißleine: Zwischen 2015 und 2019 stiegen ausgewählte Unternehmen in Pilotprojekten auf die 4-Tage-Woche um.
Mit großem Erfolg: Trotz einer Reduzierung der Arbeitszeit (auf 35–36 Stunden die Woche) blieben Produktivität und Servicequalität der Unternehmen gleich – oder erhöhten sich sogar. Gleichzeitig verbesserte sich die mentale und körperliche Gesundheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Andere Länder folgen dem nordischen Beispiel
Dem isländischen Vorbild folgen immer mehr Länder. In Japan bot zum Beispiel das Unternehmen Microsoft seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern 2019 die Möglichkeit einer 4-Tage-Woche. Diese nahmen dankend an. Das Ergebnis: Die ausgeruhte Belegschaft sorgte für einen Produktivitätsanstieg von 40 Prozent.
Einen ähnlichen Erfolg erhofft sich jetzt auch die spanische Regierung. Ab Herbst will Spanien die 4-Tage-Woche landesweit testen. Lediglich 32 Stunden in der Woche sollen Beschäftigte der 200 ausgewählten Unternehmen arbeiten – im ersten Jahr sogar bei gleicher Bezahlung. Dies kommt einer Gehaltserhöhung von 20 Prozent gleich. Die spanische Regierung muss dafür tief in die Tasche greifen: Rund 50 Millionen Euro zahlt sie den ausgewählten Unternehmen, um das Projekt zu finanzieren.
Das bedeutet der Umstieg auf die 4-Tage-Woche
- Statt 5 wird nur 4 Tage die Woche gearbeitet – häufig fällt der Freitag weg, um das Wochenende zu verlängern.
- Alternativ bleibt es bei 5 Arbeitstagen in der Woche, aber die Wochenstundenzahl wird reduziert (zum Beispiel auf 32 Stunden in Spanien oder 35–36 Stunden in Island).
- Das Einkommen bleibt gleich, solange die gleiche Stundenzahl auf weniger Tage verteilt wird. Wird die Stundenzahl reduziert, sinkt das Gehalt in der Regel.
Vorteile und Nachteile einer 4-Tage-Woche
Der größte Vorteil einer 4-Tage-Woche ist der positive gesundheitliche Effekt auf Körper und Geist der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Stress wird reduziert, die Gefahr an Depressionen zu erkranken oder einen Burnout zu erleiden, sinkt. Dazu sorgt die längere Erholungsphase für einen großen Motivationsschub. Und motivierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind produktiver – ein wichtiger Aspekt für Unternehmen.
Gleichzeitig ermöglicht ein freier Tag unter der Woche die Durchführung von Terminen, die an Wochenenden nicht stattfinden können. Dazu gehören zum Beispiel Arzttermine. Kann eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter diese Termine auf den freien Wochentag legen, beeinflussen Arztbesuch und Co. die restliche Arbeitszeit nicht mehr.
Allerdings bringt die 4-Tage-Woche auch Nachteile mit sich. Zum einen besteht die Gefahr, dass der zusätzliche freie Tag zu einer erhöhten Anzahl von Überstunden an den restlichen Tagen führt. Und zum anderen ist der Umstieg für manche Unternehmen nur dann machbar, wenn ganze Branchen mitziehen. Kann ein Unternehmen nur an vier Tagen der Woche Produkte verkaufen, ein Konkurrenzunternehmen aber an fünf, kann dies zu einem Wettbewerbsvorteil führen.
Umfrage: Fast 40 Prozent der Befragten in Deutschland lehnen die 4-Tage-Woche ab
Trotz aller Vorteile und Erfolgsgeschichten aus Island und Japan sehen viele Menschen hierzulande eine mögliche Verkürzung der Arbeitswoche kritisch. Eine repräsentative Civey-Umfrage zeigt: Fast 40 Prozent lehnen die verkürzte Arbeitswoche ab. Mehr als 10 Prozent sind bei dem Thema unentschieden. Nur die Hälfte der Befragten steht hinter der Idee.
Studierende gegen Ruheständler: Vor allem Ältere sind gegen eine kürzere Arbeitswoche
Auffällig ist, dass besonders Menschen im Ruhestand die 4-Tage-Woche kritisch sehen. Knapp 56 Prozent der befragten Rentnerinnen und Rentner lehnen eine Verkürzung ab. Rückendeckung bekommen sie von der Gruppe der Selbstständigen. Auch in dieser gab mehr als die Hälfte der Befragten an, gegen die Verkürzung zu sein. Dagegen würde die junge Generation einen Umstieg mehrheitlich unterstützen. So gaben acht von zehn Studierenden an, dem Vorschlag positiv gegenüberzustehen.
Besonders bei Familien mit Kindern ist der Bedarf groß
Auch wenn viele Menschen in Deutschland gegen die 4-Tage-Woche sind – der Bedarf für kürzere Arbeitszeiten oder flexiblere Arbeitsmodelle ist groß. Gerade in Familien mit Kindern sind es in der überwältigenden Mehrheit Frauen, die in Teilzeit arbeiten, um die Care-Arbeit zu verrichten. Eine Abkehr von der 5-Tage-Woche könnte eben diese Care-Arbeiterinnen entlasten und für eine gerechtere Arbeitsteilung sorgen. Dies signalisieren auch die Zahlen: Laut Civey-Umfrage spricht sich lediglich ein Viertel der befragten Haushalte mit Kindern gegen eine Vier-Tage-Arbeitswoche aus.
Die Überschrift des Artikels „4-Tage-Woche in Deutschland – fast 40 Prozent sind dagegen“ hätte auch heißen können: „4-Tage-Woche in Deutschland – ein klare Mehrheit ist dafür“.
Interessant ist der Artikel aber allemal.